Cat Powers magischer Dylan-Abend in Frankfurt

26. April 2024

Die US-Singer-Songwriterin drückt dem legendären 1966er-Konzert ihren ganz eigenen Stempel auf

Foto: Cowboy Band Blog

Coverversionen von Dylan-Songs haben unzählige Künstler veröffentlicht. Von Ambros bis Adele, von Nancy Sinatra bis Wolfgang Niedecken. Doch das, was Cat Power, bürgerlich Chan Marshall, da im vergangenen Herbst veröffentlicht und am Mittwochabend (24. April) in Frankfurt am Main auf die Bühne gebracht hat, sprengt den Rahmen herkömmlicher Coverversionen. Cat Power hat nicht mehr und nicht weniger als das legendäre „Royal Albert Hall Concert“ von 1966 eins zu eins wiedergegeben und gleichzeitig dabei ganz neu durchschritten, vermessen und ausgelotet. Ein Meisterwerk, ein magischer Abend.

Pünktlich betritt sie die Bühne, das Licht wird gedimmt und die Bühnenbeleuchtung bleibt spärlich. Ganz dem Meister angemessen, bringen ein halbes Dutzend Retro-Scheinwerfer nur ein fahles Licht. Doch es sind die Songs, die Sängerin und der Vortrag, die an diesem Abend leuchten werden. Die Künstlerin zeigt ihr Können und ihre Größe durch die einzigartige gesangliche Interpretation der Songs. So wie gut keine Showeinlagen, so gut wie keine Erzählungen zwischen den Songs. Livemusik pur und kein Chichi.

Foto: Cowboy Band Blog

Der Gesang ist expressiv und weiblich

100 Minuten lang ist sie auf ihrem Weg durch das Konzert. Musikalisch sind die Fassungen der 15 Dylan-Songs nah am Original. Im ersten Teil wird sie von einem Gitarristen und einem Mundharmonikaspieler begleitet, im zweiten Teil von einer kompletten Rockband. Nah am Original und doch ganz anders. Dieses Kunststück gelingt ihr durch ihren Gesang. Sie kopiert nicht Dylan, sondern findet ihre eigenen Töne, Stimmlagen und Phrasierungen, ihre eigenen Ausschmückungen und Girlanden, die sie um den Gesang bindet. Der rein akustische, kaum variierte Klanghintergrund und ihr faszinierender, sich bei jedem Song neu ganz sorgsam entfaltende expressive Gesang, führen zu einem Sog, dem man sich nicht entziehen kann, dem man sich gar nicht entziehen möchte. Man ist wie verzaubert und in einen Musik-Konkon gewickelt, der einem den ganzen Abend nicht mehr hinauslässt aus diesem musikgeschichtsträchtigen Konzertepos.

„She Belongs To Me“ singt sie ebenso wie “Visions of Johanna” oder “Just Like A Woman” auf ihre ganz eigene Weise. Den schleppenden, durchaus als „transzendent“ zu bezeichnenden Gesang Dylans im Original ersetzt sie in ihren Fassungen durch weibliche Expressivität und Perspektive. Sie entdeckt die Songs neu, lebt sie aus, da gibt es keine Routine, Cat Power geht nie auf Nummer sicher. Denn sie ist sich ihrer stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten bewusst und schont sich nicht.

Foto: Stefan Ermes

Sie hält uns in ihrem Bann

Es gibt keine Pause zwischen den beiden Konzerthälften, ruck-zuck ist die Band da und es geht elektrisch weiter. Das klingt nach Robbie Robertson & Co – Levon Helm war ja bereits 1965 aufgrund der ständigen Scharmützel mit dem Publikum entnervt ausgestiegen – und Cat Power treibt die jungen Mitmusiker immer wieder mit fordernden Handbewegungen an: „Kinder, spielt schneller“. Nun wird die Stimme lauter, sie ruft Songs heraus, nun wird es noch dramatischer. Schließlich stehen gewichtige Songs an wie der Anti-Liebeslied-Klassiker „I Don’t Believe You (She Acts Like We Have Never Met)“, der Song über den gar nichts verstehenden Mr. Jones („Ballad Of A Thin Man)“ und natürlich die vielstrophige Abrechnung „Like A Rolling Stone“ zum Abschluss des Abends.

Längst wippt und schwingt das Publikum mit, heute Abend fällt der „Judas-Ruf“ aus, aber den vermisst auch keiner. Denn alle sind beseelt und begeistert von Dylans Musik und ihrer kongenialen Interpretation durch Cat Power, die uns mit ihrem Gesang sirenenartig in Bann hielt und diesen Abend magisch werden ließ. Denkwürdig!

Auf der Suche nach Bob Dylan und Amerika

21. April 2024

New York, Tulsa, Woodstock – ein Reisebericht

Dieser Trip musste jetzt sein. Wir wollten vor dem November- es besteht tatsächlich die Gefahr, dass infolge der Wahlen Trump wieder Präsident wird – auf alle Fälle noch einmal in die USA. Hatten wir in den letzten Jahren vor allem den Süden und die Geburts- und Heimstätten der amerikanischen Roots Music besucht – Memphis und Clarksdale (Blues, Rock’n’Roll & Soul), Nashville & Bristol (Country) New Orleans (Jazz) sowie das Cajun County und die Appalachen (Mountain Music & Bluegrass) besucht – so war diese Reise explizit Bob Dylan und dem fortschrittlichen Amerika gewidmet. Wieder einmal New York, wieder einmal Tulsa, denn mittlerweile ist der Bob Dylan Center eröffnet und erstmals Woodstock, wo sich mit „Big Pink“ die Wiege des Americana befindet.

Greenwich Village und Sonnenfinsternis

Für New York hatten wir uns viel vorgenommen, von dem wir einiges auch nicht geschafft haben. Was nicht nur an uns liegt. Manhattan ist als Touristenmagnet mittlerweile einfach zu groß und zu voll. Der Massenandrang am Schiffsanleger nach Ellis Island und Freiheitsstatue ist einfach der Wahnsinn. Ohne dem heutzutage oftmals obligatorischen vorher gebuchten Online-Ticket wäre die Wartezeit immens groß gewesen. Aber wir wollten uns nicht schon vorher binden. Mittlerweile wird man fast dazu gezwungen, seine Urlaubsausflüge schon weit vorher digital zu buchen. Darauf hatten wir keine Lust und dementsprechend verabschiedeten wir uns vom Vorhaben, Ellis Island und das Museum zur Einwanderung zu besuchen. Dafür sind wir einige Stunden im Stadtteil Harlem mitgeschwommen, haben das legendäre Apollo-Theater bestaunt und die Szenerie auf uns einwirken lassen. Und interessante Eindrücke von einer mehrheitlich afroamerikanischen Community gewinnen können.

Natürlich waren wie wieder im Greenwich Village im Washington Square Hotel untergebracht. Dort wo schon Bob Dylan und Joan Baez genächtigt haben. Im alten Boheme- und Szeneviertel – hier haben schon Woody Guthrie und Pete Seeger gewirkt und später wurde hier Bob Dylan zum Fixpunkt der Folkszene – ist heute das Feierpublikum unterwegs. Es gibt noch Musikclubs wie das Cafe Wha?, wo wir den Countrysänger Gabe Lee in einem wunderschönen Konzert gesehen haben, und ein paar Comedytheater, aber einfach auch viele reine Amüsier- und teure Szeneschuppen. So ist das Village in seinem Herzen zum Vergnügungsviertel mutiert und hat viel von seinem Charme verloren.

„American Way of Sonnenfinsternis“

Und New York ist an einigen Stellen marode bzw. bekommt die Folgen jahrelanger staatlicher Enthaltsamkeit in Sachen Erneuerung der Infrastruktur zu spüren. Irgendwie passiert jetzt alles auf einmal. Auf der breiten Avenue de Americanas (6. Avenue) ist in Greenwich Village der Bodenbelag völlig abgefräst und keiner weiß, wann das wieder in Ordnung kommt. Überall wird gebaut. Auch nachts in der U-Bahn. Es gibt schöneres, als nachts nach dem tollen Alicia Keys-Musical „Hells Kitchen“ im Untergrund kilometerlang zum verlegten Abfahrtsort der Subway zu irren.

Dafür aber immer wieder schöne Erlebnisse wie die Sonnenfinsternis im Central Park, die von den New Yorkern ebenso unaufgeregt zur Kenntnis genommen wird wie das Erdbeben zwei Tage vorher. Auch wenn die Medien aus einem leichten Zittern, wie wir es auch im Hotel wahrgenommen haben, ein großes Drama machen. Ebenso symptomatisch wie spaßig war daher das Interview auf dem Times Square, in dem ich einer TV-Reporterin meine Erdbebeneindrücke schildern durfte.

Tulsa: Dylan, Guthrie und ein lang verdrängtes Massaker

Kaum einer schafft es so wie Bob Dylan in einer Liedzeile komplexe geschichtliche, gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen zu verdichten. „Take me back to Tulsa to the scene of the crime” heißt es in seinem langen Song-Epos „Murder Most Foul”. Zwei Dinge bringt er hier zusammen: Den Song “Take Me Back To Tulsa“, einer der großen Hits für Bob Wills, dem Vater des Western Swing. Der wirkte ja einige Jahre in Tulsa und machte den heute noch bestehenden „Cain’s Ballroom“ zur Geburtsstätte dieser Musikrichtung. Und Dylan erwähnt damit das „Black Wall Street Massacre“ von 1921, als der afroamerikanische Stadtteil Greenwood von einem rassistischen Mob bis auf die Grundfesten niedergebrannt und zerstört wurde und das Inferno bis zu 300 Menschen das Leben kostete. Bob Wills selber, der, wie es der afroamerikanische Bandleader Ernie Fields in seine Erinnerungen schildert, kein Rassist war und Fields Karriere gefördert hat, bringt den Rassismus und die Situation in Tulsa in seinem Song zusammen. In den Lyrics heißt es:

“Little bee sucks the blossom, big bee gets the honey/ Darkie raise the cotton, white man gets the money” und an anderer Stelle “Would I like to go to Tulsa? Boy I sure would/ Well, let me off at Archer, and I’ll walk down to Greenwood”. Wills schildert hier die Rassen- und Klassenverhältnisse und dass er auch keine Scheu hat, die Rassengrenzen zu überwinden.

Mittlerweile gibt es eine hervorragende Ausstellung zum Tulsa Massaker, die wir uns natürlich angeschaut haben. Eine Entschädigung der letzten noch lebenden Hinterbliebenen der Opfer wurde aber erst jüngst von einer konservativen Richterin abgelehnt. Die USA im Jahr 2024 – voller Widersprüche.

Der Bob Dylan Center und der Woody Guthrie Center liegen fast unmittelbar nebeneinander im Tulsa Arts District, dem kulturellen Herz der Stadt. Nur wenige Blocks entfernt von Cain’s Ballroom haben sich hier Theater und andere Kultureinrichtungen angesiedelt. Vieles hier wird der philantropischen Kaiser Foundation finanziert, so auch die beiden Archiv- und Ausstellungshäuser der Folk-Ikonen. Der Dylan Center beherbergt eine großartige Ausstellung zu Werk und Wirken Dylans, in der man viele Stunden verbringen kann. Absolut sehenswert!

Neu entdeckt haben wir beim Besuch in Tulsa den Buchladen Magic City Books. Hier habe ich das Buch „My Black Country“, der schwarzen Nashville Songwiterin und Schriftstellerin Alice Randall am Erscheinungstag erwerben können. Die Autorin wird im Mai dort lesen, die Veranstaltung findet in Kooperation mit Dylan- und Guthrie-Center statt. Auch ein wichtiges Indiz dafür, wo sich der Bob Dylan Center verortet. Und bei aller Zurückhaltung bei direkten politischen Ansagen des Meisters: Bob Dylan selbst ist und bleibt Teil des fortschrittlichen Amerikas.

Woodstock – Künstlerkolonie und Wiege des Americanas

Mit dem Woodstock Festival hatte unser Besuch in Woodstock rein gar nichts zu tun. Ich habe keine besondere emotionale Beziehung zu diesem als Ausdruck und Höhepunkt der Hippie-Kultur gehypten Musikfestivals. Erstens war das in Wirklichkeit der „Summer of Love“ 1967 in San Francisco, zweitens fand es gar nicht in Woodstock, sondern im 60 Meilen entfernten Bethels statt und drittens war Bob Dylan gar nicht dabei. Der war damals treusorgender Familienvater und weder mit den Hippies noch mit den zahlreichen Dylan-Pilgern etwas am Hut. Daher floh er vor dem Festival und spielte lieber mit The Band auf der britischen Isle Of Wight. Obwohl oder gerade weil der Name des Festival wegen Dylans Wohnort gewählt wurde.

Für uns ist Woodstock, das schon lange vor dem Festival Künstlerkolonie war, die Wiege des Americana. Hier im Haus Big Pink spielten sich Bob Dylan und The Band von Frühjahr bis Herbst 1967 durch die alten Klassiker aus Blues, Country, Folk und Gospel. Und wenn neue Musik entstand, dann wirkte sie uralt. Im psychedelischen Summer of Love gingen Bob und seine Freunde zu den Wurzeln der amerikanischen Musik zurück. Es entstanden die legendären Basement Tapes, die rudimentär acht Jahre später und vollständig erst fast fünfzig Jahre später offiziell veröffentlicht wurden. Nach den Aufnahmen der Basement Tapes brachte The Band „Music From Big Pink“ heraus und Dylan „John Wesley Harding“. Und der Kurs der amerikanischen Populärmusik war neu bestimmt.

Big Pink!

In Woodstock haben wir Big Pink und die Levon Helm Studios gefunden. Wir hatten eine wunderbare Bed & Breakfast-Unterkunft bei einer reizenden Familie und konnten so richtig relaxen. Der Ort ist voller Musik, wir genossen Soul und Funkonzerte, eine Open Mic Night und im nahen Kingston haben wir die Old Crow Medicine Show in einem fantastischen Konzert gesehen. Wir haben in Gesprächen mit typischen Woodstock Residents- hier haben viele liberale New Yorker ihren Wochenend- und Alterssitz- die Furcht vor Trump gespürt aber auch gemerkt, dass es sich hier vor allem um eine mehrheitlich weiße Community handelt. Aber es ist trotzdem ein Ort des fortschrittlichen Amerikas. Mit dem Wohnsitz von Franklin D. Roosevelt im unweit gelegenen Hyde Park und dem angeschlossenen Roosevelt Museum, in dem es vor allem auch um die Geschichte des New Deal geht, haben wir auch eine seiner weiteren Pilgerstätten besucht. Ebenfalls nicht weit von Woodstock liegt Beacon, wo Pete Seeger gewohnt hat und von wo aus er sein Hudson River-Umweltschutzprojekt in Angriff genommen hat. Wir haben also tatsächlich einen wichtigen Landstrich des fortschrittlichen Amerikas gefunden.

Die USA vor der Wahl

Die Stimmung im Land schwankt derzeit zwischen Verdrängung und Furcht. Man lebt den Alltag, Bidens Wirtschaftspolitik funktioniert und trotzdem zweifelt man am scheinbar greisen Präsidenten. So verdrängt man oftmals die bevorstehende Richtungswahl, denn der Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Zudem sind New York City und der Bundesstaat New York einfach keine republikanischen Hochburgen. Vieles scheint hier weit weg.

Es war also wieder einmal eine sehr interessante, erlebnisreiche, spannende und musikalische Reise, die in ihrem New Yorker Teil – gerade auch auf der letzten Etappe mit dem Weg zum Flughafen- auch sehr anstrengend war. Wir schauen gebannt was im November passieren wird. Auch davon wird abhängen wie schnell wir wieder in die USA reisen werden.

Bob & Beyoncé

1. April 2024

Collage, Zitate, Verweise, Metaphern, Identifikationsfiguren: Beyoncé und Bob Dylan kuratieren amerikanische Musikgeschichte und stehen für das demokratische Amerika

Beyoncé Knowles Carter und Bob Dylan, Fotos: Wikimedia Commons

Sie sind sich näher als so mancher alter, weißer Dylan-Fan denkt. Zumindest in der Art wie sie mit der amerikanischen Musikgeschichte umgehen: Bob Dylan und Beyoncé Knowles-Carter. Klar, es gibt da dieses Bild von Dylan mit Beyoncé inmitten ihrer damaligen Gesangsgruppe „Destinys Child“ von den Grammy-Feierlichkeiten 2002. Aber mehr als dieser Schnappschuss lässt sich an öffentlichen Gemeinsamkeiten nicht feststellen, schon gar keine wie auch immer geartete künstlerische Zusammenarbeit. Stattdessen postete sie aber 2012 während Albumaufnahmen auf Twitter aus heiterem Himmel: „‘I’ll let you be in my dreams if I can be in yours.‘ Bob Dylan“. Wir können davon ausgehen, dass beide Seiten um ihre Bedeutung für die amerikanische Musik wissen. Aber wie gesagt, sie sind sich in ihrer musikalisch-künstlerischen Ausdrucksweise näher als man denkt.

Warum? Dylan hat sowohl auf seinem ersten Karriere-Peak in den Mittsechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als auch in seinen gefeierten Alben seit der Jahrtausendwende den amerikanischen musikalischen und gesellschaftlichen Kontinent in einer Art und Weise durchschritten, der beispiellos ist. Er hat dies auf dem Fundament der gesamten amerikanischen Populärmusik gemacht: Folk, Blues, Country, Jazz und Urban Pop der 1930er bis 1950er Jahre. Er hat sehr wohl neben den musikalischen auch die literarischen Ausdrucksformen der afroamerikanischen Community studiert. Wegen des Gefühls für Blues und Sprache hat er schon den Rap als sehr nahe am Blues gesehen, als selbst noch progressive Weiße hierzulande Rap und Hip Hop in einen Topf mit ihrem schrägen Verwandten, dem Gangsta Rap mit seinen Kennzeichen Frauenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung, Protz und Bling Bling geschmissen haben. Ohne Verständnis für die emanzipatorischen Ursprung dieser Hip Hop-Kultur in den Ghettos der 1970er Jahre.

Beyoncè hat dagegen spätestens seit Mitte der 2010er Jahre sich konsequent politisiert und den weiblichen afroamerikanischen Emanzipationskampf zu ihrem Thema gemacht. Allem Superstargehabe zum Trotz. Hinter der Diva-Maske steckt eine reflektierte und emphatische Persönlichkeit. Legendär ist längst ihr Song und Video „Formation“, in dem nicht mehr und nicht weniger die jahrhundertelange Geschichte des schwarzen Amerikas erzählt wird. Von Plantagensklaven und Dienerschaft über Black Cowboys und Buffalo Soldiers bis hin zu den afroamerikanischen Opfern von Katrina in New Orleans.

Dylans Schwanengesang auf Amerika und Beyoncés Forderung nach Anerkennung

Copyright: Columbia Records

Während Dylans Rough And Rowdy Ways von 2020 den Schwanengesang auf das wegen seiner Widersprüche auseinanderbrechende Amerika und auf das Ende des amerikanischen Jahrhunderts darstellt – mit seiner politisch-popkulturellen Geschichtserzählung in Stücken wie „Murder Most Foul“, „Mother Of Muses“ oder „Key West“ – ist Beyoncés neues Album „Cowboy Carter“ die Einforderung der Anerkennung der schwarzen Beiträge zum uramerikanischsten aller Musikgenres, dem Country. Er erzählt von Cowboys und der Eroberung des Westens, von Small Towns und Familie, vom Zusammenhalt und von der individuellen Freiheit gleichermaßen. Zu all dem haben die Afroamerikaner wichtige Beiträge geliefert. Doch die sind in der weißen Erzählung gestrichen worden. Die obszöne gesellschaftliche Segregation von weißem und schwarzem Leben im Süden, die mittels Militanz und Gewalt aufrechterhalten wurde, führte zusammen mit der von der Plattenindustrie daraus abgeleiteten demoskopischen Annahme „weiße kaufen nur weiße Musik, Schwarze kaufen nur schwarze Musik“ zu einer Genrespaltung in weißes „Country & Western“ sowie schwarze „Race Records“, die in der Frühzeit des Country, in der Old Time und Hillbilly-Musik so nicht gegeben war. Es gab weiße und schwarze Stringbands, die sich im Repertoire kaum unterschieden. Es gab die sogenannten „Songster“, die alle populäre Musik spielten – egal ob weiße oder schwarze Genres. Der einsame „Bluesman“ ist eine Legende. Stringbands und Songster waren Gebrauchs- und Unterhaltungsmusiker.

Und die Rassentrennung wurde in der Musik auch immer wieder unterlaufen. Denn jeder frühe Countrystar hatte auch einen schwarzen Lehrmeister. Leslie Riddle brachte der Carter Family das Gitarrespielen und viele Lieder bei. Rufus Payne war gleichsam der Musiklehrer von  Hank Williams und Arnold Shultz beeinflusste Bill Monroe maßgeblich. In der Frühzeit der Grand Ole Opry war ganz selbstverständlich der schwarze Mundharmonikaspieler DeFord Bailey Teil des Ensembles. 1941 wurde er aus rassistischen Gründen aus der Opry gemobbt. Erst 1967, mehr als ein Vierteljahrhundert später, trat mit Charley Pride wieder ein afroamerikanischer Künstler in der Opry auf. Pride konnte sich im Mainstream-Country trotz seiner Hautfarbe etablieren. Seinem weiblichen Pendant Linda Martell gelang dies nicht. Als schwarze Frau war sie noch viel mehr und viel hässlicheren rassistischen Attacken seitens des Publikums ausgesetzt. Zudem stand ihr Manager nicht wirklich hinter ihr. Mitte der !970er war diese Karriere schon wieder vorbei.

Mit Collagen und Zitaten treffen sie sich in ihrer Art des Songwriting

Copyright: Sony Music

Solche Geschichten erzählt Beyoncé. Sie erzählt sie mit Metaphern und Verweisen, in Zitaten und Collagen, textlich und klanglich. Den Anspruch, damit eine gesellschaftliche und (musik)geschichtliche Totalität und Entwicklung abbilden zu können, hat sie ebenso wie Dylan in seinem Spätwerk. Man denke nur an sein Masterpiece „Blind Willie McTell“. Beyoncé erzählt sie entgegen aktueller Trends nicht identitär ausschließend, sondern baut Brücken. Mit Dolly Parton und Willie Nelson hat sie zwei der größten lebenden Country-Legenden für ihre Sache gewinnen können. Ein Echo dieser Zusammenarbeit ist vielleicht auch das Line-Up der diesjährigen Outlaw Festival Tour, bei dem neben Nelson und Bob Dylan u.a. auch die schwarze Countrymusikerin Brittney Spencer, die afroamerikanische Singer-Songwriterin Celisse und die Blues- und Soulband Southern Avenue mit von der Partie sind. Da Spencer gerade an einem Song gegen die republikanische Senatorin von Tennessee mitgewirkt hat und Celisse u.a. 2016 mit dem Song „Freedom“ sich gegen rassistische Polizeigewalt ausgesprochen hat, darf man die Zusammenstellung des Line Up – John Mellencamp ist auch dabei! – getrost als politisches Statement verstehen.

Dylans Sichtweise der amerikanischen Gesellschaft konfrontiert seit jeher die Versprechen der Gründerväter mit der Realität amerikanischer Geschichte und Gegenwart. Auch Beyoncé steht für die universellen Menschenrechte. Und sie ist für viele junge Amerikanerinnen und Amerikaner – ob schwarz oder weiß – eine positive Identifikationsfigur für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft. Der „Billboard“ fragte sich schon 2017 ob Beyoncé eine legitime Nachfolgerin Bob Dylans in dieser Hinsicht sei.

Stimmen der Hoffnung

In diesen Tagen wird viel Häme und Hass über Beyoncés Album „Cowboy Carter“ vergossen. Hier kommt die Hauptkritik vom eher rechten Spektrum. Die andere große weibliche amerikanische Pop-Figur – Taylor Swift – sorgt ebenfalls für viel Häme und Unverständnis. Und das auch von eher progressiven Zeitgenossen. So verwahrten sich Internetkommentare dagegen Joan Baez und Taylor Swift in einem Atemzug zu nennen. Und lassen dabei völlig außer Auge, dass sich Taylor Swift öffentlich ebenfalls politisch ganz klar progressiv verortet hat. Bob Dylan und Joan Baez waren das Traumpaar einer demokratischen, kritischen Jugend als die USA ähnlich polarisiert waren. 60 Jahre und eine Mondlandung später, die auch geprägt waren durch die Veränderung von Musik, ihrer Rezeption, ihrer Herstellung, ihrer Aufbewahrung und Vertriebswege durch MTV, Digitalisierung und Globalisierung sollte man verstehen, dass von Beyoncé und Taylor Swift unter den heutigen Bedingungen eine ähnliche Wirkung ausgehen könnte. Sie haben als Identifikationsfiguren die Möglichkeit, Menschen davon abzuhalten Ihre Stimme Anti-Demokraten zu geben oder gar nicht zu wählen. Stimmen der Hoffnung also.

“I hope we played something that you came to hear”

10. März 2024

Dylans Deutschland-Tour 1981: Eine unterschätzte und missverstandene Konzertreise bedarf einer Neubetrachtung – neues Dylan-Buch zu diesem Thema soll in diesem Jahr erscheinen

Aus: Concert-Journal, Juli/August 1981, Quelle: Lippmann+Rau-Archiv

Sechs Konzerte an vier Orten: Bad Segeberg, Loreley, Mannheim, München. Mit jeweils ca. 12.000 Zuschauern. Das Publikumsinteresse war da, trotz Dylans Konversion und der zwei christlichen Alben von 1979 (Slow Train Coming) und 1980 (Saved), die im Dylan-Lager äußerst zwiespältig aufgenommen wurden.

Als Dylan im Sommer 1981 zum zweiten Mal nach 1978 auf Deutschland-Reise ging, war er aber schon wieder weiter. Er begann sich gerade vom christlichen Fundamentalismus zu lösen. Doch mit solchen Feinheiten wollte sich ein großer Teil der veröffentlichten Meinung nicht beschäftigen. Und dass er nun alte Songs einstreute oder neue, weltlichere Songs – “I hope we played something that you came to hear” sagte er am Ende einiger Konzerte – wurde ihm wahlweise als Anbiederung oder Ausverkauf ausgelegt. Waren schon 1978 Dylans Konzerte umstritten – die Bandbreite reichte von Buhrufen und Wurfgeschossen in Berlin bis zum triumphalen Jahrhundertkonzert in Nürnberg – so war die Stimmung 1981 medial gesehen ausgesprochen gereizt.

Einmal Judas, immer Judas

Die Presse war sich erschreckend einig: Diesen Dylan wollen wir nicht. Er singt religiöse Songs, er hat Backgroundsängerinnen dabei, die auch noch Gospel auf offener Bühne singen. Mal soll der Sänger schlecht aufgelegt sein, dann wieder die Band. Dann soll sogar Dylan gepredigt haben (hat er nicht, Mitschiften beweisen es). Mal ist Dylan ausgebrannt, mal ein arroganter Superstar, mal ein ehrmaliger Politsänger, der sich selber und sein Publikum verraten hat. JUDAS! Nein, halt das war eine andere Tournee, wenn auch der Mechanismus der gleiche.

Hatte Dylans 1978er-Tour noch den Nimbus des ersten Mals und erzählte 1984 die tragische Geschichte von Joanie und Bobby, so ist die 1981er Deutschland-Tour bis heute nicht nur die umstrittenste, sondern auch die unterschätzteste Tour. Da sie aber die erste Tour war, der ich mit dem Mannheimer Konzert am 18. Juli 1981 beiwohnte, hat sie für mich immer einen großen Stellenwert.

Neue systematische Beschäftigung mit der 81er-Tour

Darum ist nun die Zeit gekommen, diese Tour systematisch unter die Lupe zu nehmen. In meinem neuen Buch will ich die Pressemeinungen bewerten und mit Augen- und Ohrenzeugenberichten kontrastieren. Ich will Dylan künstlerische Entwicklung und ihre Rezeption vor dem Hintergrund des konservativen Roll Back in den USA sowie des Erbes der 68er-Generation und den neuen sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik einordnen und natürlich meine eigenen Eindrücke schildern. Dazu kommen auch die eine andere anekdotische Geschichte von dieser Tour und die Erinnerung an Fritz Rau und seine Konzertagentur als Organisatoren der deutschen Konzerte. Das Buch soll noch dieses Jahr erscheinen.

Zeitreise

Schon jetzt einen großen Dank an alle, die mir bereits Ohren- und Augenzeugenberichte geschickt oder mich anderweitig unterstützt haben. Nun, nachdem ich zwei Tage im Lippmann+Rau-Archiv zur 81er-Tour recherchiert habe, wird das Buchprojekt Fahrt aufnehmen. Die Zeitmaschine steht bereit, sie wird mich in den nächsten Monaten 43 Jahre in die Vergangenheit reisen lassen. Aber aufgepasst: Die Geschichte bleibt wie sie ist, sie wird nur anders erzählt werden!

Bob Dylan, Girl From The North Country, Bad Segeberg 1981:

„Heart Of Mine“

4. Februar 2024

Bob Dylans Lied von Liebe, Zweifel und Unsicherheit/ Dylan und die „leichte Muse“

Copyright: Columbia Records

Das erste Mal hörte ich „Heart Of Mine“ im Radio. Im Juli 1981 erschien der Song zeitgenau zur Europa-Tour des Meisters. Und tatsächlich sah ich Dylan dann auch das erste Mal im Konzert am 18. Juli 1981 im Mannheimer Eisstadion. Als sich unsere kleine Konzertreisegruppe den Titel noch einmal kurz vor dem Aufbruch anhörte, äußerte sich mein Englisch-Lehrer vor allem auch damit zufrieden, dass die Produktion hier endlich wieder Dylan-like, sprich nicht perfekt sei. Wir erinnern uns ja gerne daran, dass beim Klassiker „Hurricane“ an einer Stelle Gitarren und Congas doch etwas aus dem Rhythmus kommen. Doch der Meister hat den Song trotzdem in der Version veröffentlicht, gerade weil es das Anliegen des Songs verstärkt.

Unsicher und stolpernd

Und der Kunstgriff klappt auch hier. Dieses Lied voller Zweifel darüber, ob man sein Herz jemanden schenken soll, vielleicht weil man in einer festen Bindung ist, oder einfach nur, weil man Angst davor hat, verletzt zu werden, wirkt umso stärker, weil die Musik hier manchmal stolpernd und holprig wirkt. Ein Dokument der Unsicherheit und des Zweifels. Auf den ersten Blick geht es hier um die Liebe, aber man kann das Frühjahr 1981, in dem das Lied aufgenommen wurde, schon insgesamt bei Dylan als Zeit des Zweifelns ansehen. Schon seit dem Frühjahr 1980 hatte sich sein fester Bund mit dem Fundamentalismus gelockert und seit Ende 1980 begann er auf seinen Konzerten alte und neue Songs zu mischen. Das im Frühjahr aufgenommene und dann im August veröffentlichte Album „Shot of Love“ mischte erstmals religiöse Songs wie „Property Of Jesus“ oder „Dead Man, Dead Man“ mir „weltlichen“ Songs wie „Heart Of Mine“, Watered Down Love“ oder „Lenny Bruce“. Und es gibt Songs, wo er religiös wird, ohne missionieren zu wollen, wie beispielsweise das wunderbare „Every Grain Of Sand“.

Wie muss ein Dylan-Song sein?

Doch zurück zu „Heart Of Mine“. Sieht man den Kontext in dem das Lied entstanden ist, dass ist es überhaupt nicht mehr das leichtgewichtige Liedchen, als das es von manch Dylan-Papst gesehen wird. Und wenn es leichtgewichtig wäre – so what? Warum darf Dylan nicht auch mal der leichten Muse frönen? Einst verlangte man Protestsongs von ihm und bis heute muss scheinbar jeder Song übervoll mit literarischen, historischen, religiösen und philosophischen Zitaten, Metaphern, Verweisen und Anspielungen sein, um überhaupt als Dylan-Song ernst genommen zu werden.

Ich gebe zu, ich habe das durchaus auch schon so gehandhabt. Während ich Dylans frühe Lovesongs wie „Love Minus Zero/ No Limit“ oder „Lay, Lady, Lay“ nie infrage gestellt habe, fand ich „Make You Feel My Love“ anfangs auch ein bisschen unter Dylan-Niveau. Die Bilder irgendwie zu einfach und vom kompositorischen zu nah an „I’ll Remember You“ vom 1985er-Album „Empire Burlesque“. Auch wenn er der kommerziell erfolgreichste Song aus Dylans Spätwerk ist, weil er u.a. von Adele, Garth Brooks und Billy Joel gecovert wurde. Das im Übrigen gerade weil er so leichtgewichtig daherkommt. Erst seine 2019er Live-Version versöhnte mich mit ihm. Denn man sollte sich auch hier von Dylan nicht täuschen lassen. Selbst vermeintlich leichtgewichtige Lyrik lässt sich von ihm mittels Vortragshaltung, Gesang und Arrangement in ganz andere Sphären überführen. Da wird die Ansage „Ich werde Dich meine Liebe fühlen lassen“ schon mal bedrohlich, und reiht sich nahtlos in seine jüngsten dunklen Umdeutungen von Songs wie „To  Be Alone With You“ ein.

Furcht vor Wanderschaft und Freiheit?

Copyright: Columbia Records

Hier also das Herz, das zu Hause bleiben soll, das nicht auf Wanderschaft gehen soll, so verlockend das Ziel auch sein mag. Es wird Dylan nachgesagt, dass hinter den Kulissen er mit einigen seiner Background-Sängerinnen zwischen 1979 und 1983 oftmals mehr als befreundet war. Ob das Lied auch ein Dokument des Gefühlschaos ist? Oder fürchtet sich Dylan vor der Freiheit, die so verlockend außerhalb des abgeriegelten fundamentalistischen Gedankengebäudes wirkt?

Dylan hat den Song als festen Bestandteil seiner Konzerte das ganze Jahr 1981 gespielt. 1984 auf seiner Europa-Tour dann lediglich in Wien und Verona. 1986 spielte er es nur einmal in Wellington, Neuseeland. 1987 dann einmal in den USA und dreimal in Europa. 1989 kam es noch einmal in St. Louis zum Einsatz. Zum letzten Mal wurde „Heart Of Mine“ von Dylan vor mehr als dreißig Jahren in Toronto am 17. August 1992 gespielt. Seitdem nichts mehr.

Bestandteil des „Dylan-Lovesongs-Kanon“

Als damals 17-jährigem gefiel mir der Song. Er hat Ohrwurm-Qualitäten und eben einen recht einfachen Text, so dass ich ihn damals gerne gehört und auch mitgesungen habe, wenn ich das Album mal wieder viel zu laut daheim hörte. Und natürlich hörte ich den Song auch in Mannheim. Dylan am E-Piano war für mich überraschend, war er doch für mich ganz klar der Mann mit der Gitarre. Aber diese Performance werde ich auch nie vergessen. Denn bevor er den Song spielte, hängten ihm Helfer ein Handtuch über die Schultern. Das sah doch schon ein bisschen nach Superstar-Gehabe aus. Heute würde ich es vielleicht auch als Zitat deuten wollen. James Brown bekam während seiner Konzerte immer zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Umhang umgelegt.

So ist „Heart Of Mine” doch über die Jahre immer noch eines meiner Lieblingslieder geblieben, auch wenn es nicht zu seinen ganz großen Songs gehört. Aber auch ein Literatur-Nobelpreisträger und Song-Gigant hat das Recht auf „leichtere Kost“. Und: Er kann sie jederzeit einer Revision unterziehen. Das können und wollen die Lohnschreiber und Songinterpreten des Musikbusiness in der Regel eben nicht. Doch wie auch immer, wenn am 23. Mai die Darmstädter Americana-Reihe am Vorabend von Dylans Geburtstag die „Lovesongs Of Bob Dylan“ in den Fokus nimmt, dann steht der Song natürlich auf meiner Wunschliste.

1980/81 – Dylan befreit sich aus der Kirche

29. Januar 2024

Mit der Sommertour in Europa und dem Album „Shot Of Love“ wendet sich Dylan wieder weltlicheren Sichtweisen zu/ Neues Buchprojekt

Bob Dylan, Toronto 1980, Copyright: Wikimedia Commons

Natürlich war es für die Dylan-Welt ein Schock, als ausgerechnet der große Individualist und Verwirrkopf Bob Dylan, sich ab 1979 freiwillig in ein festes Glaubens- und Gedankengebäude einmauern ließ. Ausgerechnet einer der großen kritischen und nonkonformistischen Stimmen der westlichen Welt fügte sich voll und ganz in die fundamental-evangelikale Vineyard Fellowship ein und ordnete sein gesamtes künstlerisches Schaffen der öffentlichen Darstellung seines neu gefundenen Gottesglaubens unter. 1979 und auch zu Beginn des Jahres 1980 erklangen nur neue, religiöse Songs auf Dylans-Konzerten.

Absatzbewegungen im Frühjahr 1980

Doch Dylan wäre nicht Dylan und wäre heute wohl ein zweifelhafter Sakro-Pop-Held in der evangelikalen Szene, wenn ihm dann nicht doch irgendwann das ganze Gedanken- und Organisationsgebäude der Evangelikalen zu einengend geworden wäre. „1980…hatte er die Fesseln der evangelikalen Orthodoxie bereits gelockert mit den beiden Songs, die er in jenem Frühjahr in jedem Konzert aufführte – „Ain’t Gonna Go To Hell“ und „Cover Down“. Nun war es an der Zeit, die Fesseln vollends zu zerreißen und die Empfindungen der Vergangenheit mit seiner neugefundenen Glaubensgewissheit zu verschmelzen“, schreibt Clinton Heylin in „Dylan.Gospel. Die rauen Töne der wahren Geschichte“.

Neue Themen im Sommer

Copyright: Lippmann+Rau

Den Sommer 1980 verbringt er zu einem großen Teil in der Karibik wo er bei den Bahamas mit seinem Boot segelt. Möglichweise eine wohl kalkulierte Absatzbewegung von der Enge der Vineyard Fellowship. Dort schreibt er mit „Caribbean Wind“ eines der zentralen Werke, dass seine Abkehr vom evangelikalen Fundamentalismus und dessen engstirniger Songmoral kennzeichnet. „Ich habe damit in St. Vincent begonnen, als ich in der heißen Sonne aus einem seltsamen Traum erwachte … Ich habe aus den falschen Gründen darüber nachgedacht, mit jemandem zusammenzuleben“, sagt Dylan in einem Interview für die Album-Box Biograph von 1985 zu Cameron Crowe. Und Paul Robert Thomas schreibt auf seinem Blog dazu: „Die Synthese aus apokalyptischer Einbildung und seinem vertrauten Thema der unzufriedenen Liebe war für seine Fans ein vertrauteres Terrain als alles, was er auf seinen beiden vorherigen Alben erkundet hatte, was darauf hindeutet, dass er zumindest lernte, seine Arbeit vor „Born Again“ zu assimilieren, anstatt sie zu ignorieren.

Alte und neue Lieder nebeneinander

Und Ende 1980 geht er schließlich mit seiner Band und den Sängerinnen auf die erste Retrospective-Tour. Er mischt neue und alte Songs. Danach schreibt Dylan wieder Songs und nimmt von März bis Mai 1981 das Album „Shot Of Love“ auf. Es ist gerade, weil es so merkwürdig zweigeteilt wirkt, ein Dokument des Übergangs. Songs wie „Heart Of Mine“, der Titelsong „Shot of Love” oder das für Dylan recht luftige “Watered-Down Love” künden von seinen Gedanken rund um falsche und echte Liebe, Lügen und Begehren. Und der Song „Lenny Bruce“ zeigt auf, dass er sich wieder an seine jüdisch-intellektuellen Wurzeln besinnt. Doch ausgerechnet das oben genannte „Caribbean Wind“ nimmt er nicht auf das Album. Stattdessen sind mit „Property Of Jesus“ und „Dead Man, Dead Man“ auch hier noch selbstzufrieden-religiöse Songs mit dabei.

„Shot Of Love“ als Wendepunkt”

Copyright: Columbia Records

Aber wie auch immer: „Jedenfalls markierte ‚Shot of Love‘ Dylans ‚Wendepunkt‘, die langsame Abkehr von allzu rascher Bekehrung“, attestiert Dylan-Kenner Günter Amendt Dylans 1981er Album (in: The Never Ending Tour, Hamburg 1991, S. 42). Denn hier zeigt Dylan endlich nicht mehr die Selbstzufriedenheit und Absolutheit des Finders, sondern den Zweifel und die Zerbrechlichkeit des Suchers. Er sucht den Trost bei Gott. Gott ist seine persönliche Angelegenheit. Dylan will uns hier nicht mehr missionieren. Das spürt man in seinem schönsten christlichen Song „Every Grain Of Sand“. Und das ist allemal besser, als der Duktus „Ich habe Gott gefunden und wenn Du das nicht auch tust, wird es Dir schlecht ergehen“ seiner vorangegangen Platte, und leider auch noch der Hälfte von „Shot Of Love“. Dylan wendet sich nun wieder anderen Geisteshaltungen zu, scheint sich wieder kritisch mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen und entdeckt seine Empathie für die Menschen wieder.

Neues Buch im Laufe des Jahres

Mit dieser Haltung geht er dann auf seine nächste Tour, die ihn nach ein paar Warm Up-Gigs in den Staaten, dann im Juni und Juli 1981 nach Europa und schließlich auch nach Deutschland führt. Was er da so spielte, mit welcher Haltung und künstlerischer Ambition er da auftrat, wie Fritz Rau das alles organisierte, wie man ihn hierzulande aufnahm und rezipierte – all das das wird Thema meines neuen Dylan-Buches über die Deutschland-Tour 1981 sein, das im Laufe des Jahres erscheinen soll. Seid gespannt!

Ausblick 2024

14. Januar 2024

10 Jahre Americana in Darmstadt, neues Buchprojekt, Reise in die USA und was macht eigentlich Bob Dylan? 2024 wird aus vielerlei Gründen ein spannendes Jahr

Thomas Waldherr blickt voraus auf ein spannendes Jahr, Foto: Americana

Die Stimmung im Land könnte schlechter nicht sein. Ein eigentlich von vorne herein mühsam gedrechselte Ampel-Koalition hat einfach keine gemeinsame gesellschaftliche Perspektive – im Gegenteil, die FDP steht in allen Zukunftsfragen den Partnern inhaltlich völlig entgegen – und bringt mit Kanzler-Scholzomat an der Spitze alle gegen sich auf. Und stärkt die AfD immer mehr, die Republik könnte am Ende des Jahres eine andere sein.

Die Stimmung in den USA könnte schlechter nicht sein. Der Kulturkampf tobt aller Orten und der zu alte demokratische Präsident wirkt leider weniger vital als der orangene Widersacher, der zusammen mit seiner Partei die amerikanische Demokratie gefährdet. Der Ausgang der Wahlen im November und die Folgen sind ungewisser denn je. Die USA könnte ein anderes Land werden.

Trotz alledem: Das „andere“ Amerika vermitteln

Und dennoch: Ich bleibe dabei, dass Deutschland und die USA einen neuen New Deal brauchen. In Deutschland mit dem Abschied von der Schuldenbremse und mit einer der höheren Besteuerung der Besserverdienenden, Millionenerben, Reichen, Superreichen, damit sie endlich ihren solidarischen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Damit der Staat in öffentliche Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Digitalisierung, den ländlichen Raum und soziale Gerechtigkeit im gesamten Land investieren kann. Das wäre auch die beste antifaschistische Politik.

Und dennoch: Ich bleibe dabei, mich mit Amerika, seiner Kultur und seiner Musik zu beschäftigen. Amerikanische Tradition ist nicht nur Egoismus, Ausgrenzung, ungezügeltes Kapital und Kulturkampf. Von Walt Whitman über Mark Twain und Upton Sinclair bis zu Woody Guthrie, Pete Seeger, Joan Baez und Bob Dylan gibt es amerikanische Traditionslinien, die Vielfalt, Respekt, Toleranz, Gemeinsinn und Demokratie zum Inhalt haben. Das ist das „andere“ Amerika. Das will ich weiterhin mit Publikationen, Konzerten und Seminaren & Vorträgen vermitteln.

10 Jahre Americana in Darmstadt

Daher werden drei Aktivitäten dieses Jahr für mich entscheidend prägen. Seit 10 Jahren kuratiere ich die Darmstädter Americana-Reihe. Mit einer Reihe von Premieren im ersten Halbjahr und einer großen Jubiläumsgala mit Freunden und Weggefährten im Herbst möchte ich dieses Jubiläum würdig begehen. Die Reihe ist zu einer echten Marke in Darmstadt und Rhein-Main geworden. Darauf bin ich schon stolz. Auch wenn jedes Konzert Kraft kostet, besonders um Menschen dafür zu gewinnen, sich auf das Live-Erlebnis einzulassen. Um so schöner ist es, wenn das Programm gefällt und Publikum und Künstler:innen zusammen einen schönen Abend haben und nach dem Konzert sich noch anregende Gespräche ergeben. Daraus ziehe ich dann die Kraft für die nächsten Konzerte und mache immer weiter damit. Ende nicht absehbar. Infos und Tickets zu den Konzerten: http://www.knabenschule.de .

Reise in die USA

Im April werden wir erstmals seit 2019 wieder durch die USA reisen. Diesmal allerdings ohne Stationen im Deep South. Uns steht derzeit nicht der Sinn nach langen Autofahrten und Small Towns in den Südstaaten. Wir gehen vor den US-Wahlen bewusst auf die Spurensuche der progressiven amerikanischen Traditionslinien. Wir werden uns in New York City mit dem Thema Einwanderung (Ellis Island), afroamerikanischer Kultur (Harlem, Apollo Theater) und den Spuren von Bob Dylan und Woody Guthrie im „Big Apple“ beschäftigen.

Wir werden Letztere in Tulsa, Oklahoma, „wieder treffen“, wenn wir dort erstmals den Bob Dylan Center und ein zweites Mal den Woody Guthrie Center besuchen. Aber auch das Tulsa-Massaker von 1921 und die Morde im Osage County (siehe Scorseses Meisterwerk „Killers Of The Flower Moon“: https://cowboyband.blog/2023/10/29/die-um-das-olgeld-tanzen/) werden auf unserer Agenda stehen.

Und unsere dritte und letzte Station wird dann Woodstock, NY, sein. Und das weniger wegen des legendären Festivals, das gar nicht dort, sondern im 70 Meilen entfernten Bethel stattgefunden hat, sondern es seit jeher als Künstlerkolonie für das progressive Amerika steht. Dort hat Bob Dylan gewohnt und dort im legendären Big Pink haben er und „The Band Musikgeschichte“ geschrieben. Klar, dass wir das aufsuchen werden. Daneben haben Woodstock und die angrenzenden Orte eine hohe dichte an Musiklocations. So wie beispielsweise die Levon Helm Studios und das Bearsville Theater. Den ersten Musikevent haben wir schon gebucht. Am 14. April werden wir im nur 30 Autominuten entfernten Kingston die Old Crow Medicine Show sehen. Da die Jungs selten nach Europa und leider schon gar nicht nach Deutschland kommen, werden wir sie nach Amsterdam 2017 erst das zweite Mal sehen. Mal schauen, was wir in NYC, Tulsa und Woodstock noch an Konzerten sehen können.

Neues Buchprojekt

Und dann steht ein neues Buchprojekt an. Nachdem ich die Wurzeln von Bob Dylan in der Countrymusik und in der Musik der Black Community erforscht habe, möchte ich diesmal meine eigene Dylan-Geschichte mit der Zeitgeschichte verknüpfen. Es geht um Dylans Deutschland-Tour 1981. Da habe ich mein erstes Dylan-Konzert in Mannheim gesehen. Das war die Zeit der Rückkehr von Dylan aus bornierter Frömmelei hin zur Weltoffenheit früherer Tage. Die Setlists waren eine Mischung aus alten Songs, religiösen Songs und dem neuen, durchaus schon weltlicheren Material seines neuen Albums „Shot Of Love“. Ich werde den Zeithintergrund beleuchten, die künstlerische Situation Dylans 1981 schildern, an mein eigenes Konzerterlebnis erinnern und anhand der Recherchen im Lippmann+Rau-Musikarchiv (vielen Dank an meinen Freund und „Key West“-Mitherausgeber Richard Limbert!), damaligen Presseberichten und Zeitzeugen eine Chronik und Bewertung dieser Tour vornehmen.

Was macht Bob Dylan 2024?

Also schon einiges los in diesem Jahr. Und dazu noch die Fragen nach neuen Dylan-Konzertterminen oder gar einem neuen Album. Da wird wieder einmal an die Wand gemalt, dass Bob Dylan sich zur Ruhe setzen könnte. Ja, das könnte kommen, aber bestimmt nicht vor Ende der „Rough And Rowdy Ways Tour 2021-2024“. Einmal noch Dylan in Deutschland sehen, das sollte klappen. Ein neues Album? In den Dylan-Foren wird nach Hinweisen wie angeblichen Studiozeiten hier und dort geforscht, anonyme Quellen bemüht und und und.  Dabei wissen wir doch: Am schönsten ist es doch, wenn uns der alte Verwirrkopf auf dem falschen Fuß erwischt und uns alle mit Neuigkeiten verblüfft, die wir nicht in der Lage waren, vorherzusehen. Ich denke da beispielsweise an die überraschende Veröffentlichung von „Murder Most Foul“.

Also bleiben wir gespannt und mein Americana-jahr 2024 wird eines der spannendsten werden, ganz getreu dem alten Motto „Keep On Keeping On!“

Wenn Bob Dylan aus der Zukunft grüßt

7. Januar 2024

„Lola“ von Andrew Legge ist ein faszinierender, vielschichtiger Film, gespickt mit Zitaten aus der Popkultur

Copyright: Signature Entertainment

Der Film „Lola“ ist das sehr gelungene vielschichtige Spielfilm-Debüt des Iren Andrew Legge. Der Film hat Kultpotential, denn er ist ein wahres Eldorado für Filmliebhaber. Er hat mit Martha „Mars“ und Thomasina „Thom“ Hanbury eines der hinreißendsten und interessantesten Schwesternpaare der Filmgeschichte. Er erzählt eine großartige, packende Geschichte vom „in-die-Zukunft-schauen-und-sie-beeinflussen-können“ und ist gespickt mit Popkulturzitaten.

Die Zukunft verändern

„Lola“ ist die Maschine mit der man Film, Funk- und Fernsehschnipsel aus der Zukunft empfangen kann. Ihr Name ist eine Referenz von Legge an all die anderen Lolas der Popkulturgeschichte: Der „Lola“ Marlene Dietrichs aus „Der blaue Engel“, der „Lola“ der „Kinks“ oder Tom Tykwers „Lola rennt“. Thom und Mars, die frühe ihre fortschrittlichen Eltern verloren haben, haben die Maschine erfunden. Dient sie im Jahr 1941 zuerst kulturellen Ausflügen in die Zukunft– die Schwestern begeistern sich für Bob Dylan, David Bowie und „The Kinks“ – nutzen die beiden später die Maschine für den britischen Geheimdienst im Kampf gegen die deutschen Aggressoren im zweiten Weltkrieg. Erst beeinflussen sie den Kriegsverlauf positiv im Sinne der Briten, dann gehen sie einer deutschen Täuschung auf den Leim. Es kommt zu einer Kette von dramatischen Ereignissen. Die beiden werden zum Tode verurteilt, Thom wird zu Nazi-Kollaborateurin, Mars geht mit ihrem Freund in den Widerstand. Großbritannien wird eine faschistische Diktatur und statt David Bowie steht ein brachialer Sänger mit „The Sound Of Marching Feet“ in den Popcharts.

Mehrere Bob Dylan-Referenzen

Regisseur Andrew Legge hat den dystopischen Film bewusst als „Found Footage Film“ konzipiert. Er ist in Schwarz-Weiß gehalten, und „Wackel-Kamera“-Bilder sind kunstvoll verwoben mit Original-Wochenschau-Bildern der 1940er Jahre. Während Thom die technische Erfinderin ist, hat Mars eine kreative Ader. Die filmt ständig, begeistert sich für Musik und komponiert Song im Bob Dylan-Stil.

Dass mit Bowie und Dylan ausgerechnet die beiden größten Chamäleons der Musikgeschichte im Film ihren Platz haben, passt natürlich ganz genau in diese Geschichte um Veränderungen und das Eingreifen in die Geschichte. Und sicher hat Andrew Legge auch die Direct Cinema-Filme eine D.A. Pennebaker gesehen, dessen „Don’t Look Back“ die England-Tour von Bob Dylan 1965 filmisch verarbeitet hat. Denn dessen Filmweise und Ästhetik sind durchaus verwandt mit diesem Found Footage Film.

Beachtenswertes Spielfilm-Debüt

Die Geschichte ist packend erzählt, atemlos verfolgt man die immer tragischeren Ereignisse. So vergehen die gerade mal 79 Minuten wie im Flug und man möchte sich den Film am liebsten gleich nochmal ansehen, so viel steckt in ihm. Ein beachtenswertes Debüt von Andrew Legge. Wir sind gespannt, was von ihm noch kommen wird.

Vor 50 Jahren: Bob Dylans zwiespältiger Triumphzug

5. Januar 2024

Die 1974er Comeback-Tour war für den legendären Musiker ein großer Erfolg in Sachen Publikumsbindung und Einnahmen. Künstlerisch bewertete er das Ereignis eher kritisch

Bob Dylan & The Band 1974, Copyright: Wikimedia Commons

Die Comeback-Tour von Bob Dylan im Januar und Februar 1974 war seine triumphale Rückkehr nach acht Jahren Tourpause. Seine letzte Tour war die Welttour 1966, die er mit den damals noch unbekannten „Hawks“, aus der später „The Band“ werden sollten, absolviert hatte. In der Zwischenzeit hatte Dylan nur noch sporadisch in der Öffentlichkeit musiziert, wie 1968 beim Tribute für den verstorbenen Woody Guthrie, 1969 beim Festival auf Isle of Wight oder 1971 bei George Harrisons „Concert für Bangladesh“. Seine Bedeutung für seine Generation und sein Mysterium wuchsen trotzdem oder gerade deswegen immer mehr. Währenddessen wurden „The Band“ zu einer der stilbildenden und erfolgreichsten amerikanischen Rockgruppen ihrer Zeit.

Der große Dylan-Hype

Die Nachricht, dass beide Acts nun wieder zusammen auf Tour gingen, schlug ein wie eine Bombe. Die Nachfrage war immens, der Hype in Publikum und Medien für die damalige Zeit fast beispiellos. Am Ende waren alle 40 Konzerte, die zwischen dem 3. Januar und 14. Februar stattfanden – teilweise wurden zwei Shows an einem Tag gespielt – restlos ausverkauft.

Die Shows hatten ein Standardformat: Ein Eröffnungsset mit sechs Liedern von Dylan mit Band, dann ein Set mit fünf Liedern von The Band, darauf folgten drei weitere Dylan & The Band-Auftritte, dann spielte Dylan ein Akustikset mit fünf Liedern, ein drei bis vier Lieder umfassendes Set von The Band und am Ende ein gemeinsames Finale. Das Publikum war hingerissen, da es alle die Songs hören konnte, die es schon so lange von Dylan nicht mehr gehört hatte: „Like A Rolling Stone“, „It Ain’t Me Babe“, „Just Like A Woman“, „Don’t Think Twice, It’s Alright“ usw. Und dazu noch der aktuelle Hit „Knockin‘ On Heaven‘s Door“ aus dem im Juli 1973 erschienenen Film „Pat Garrett & Billy The Kid“.

Die Stimmung der Konzerte gibt der am 20. Juni veröffentlichte Live-Mitschnitt sehr gut wieder. Die Begeisterung des Publikums war riesig, die Leute waren förmlich elektrisiert. Und als Dylan die plötzlich inmitten der Watergate-Affäre so aktuell gewordenen Zeilen „But even the president of the United States must have to stand naked“ aus „It’s Alright Ma“ sang, die da war der Jubel groß. Ein Moment für die Ewigkeit. Die älter gewordene Protestgeneration noch einmal ganz fest vereint mit ihrer musikalischen Leitfigur, der mittlerweile den Messias-Rang eingenommen hatte. In der Zukunft sollte das nicht mehr so oft passieren.

Dylan hatte die Dylan-Maske auf

Innenseite der LP „Before The Flood“, Copyright: Sony Music

Aber hier hatte Dylan ja auch seine Bob Dylan-Maske aufgesetzt und seine Stadion-Stimme für die großen Sporthallen intoniert. Die Musik mit The Band war druckvoll, dynamisch, mitreißend. Dylans Soli waren schnell und hart gespielt und zornig herausgeschrien. Ein großes Dylan-Fest. Alle waren am Ende zufrieden mit der Rückkehr Dylans. Nur Dylan und die Jungs von The Band nicht. Levon Helm erinnerte sich später: „Manchmal hatte ich das komische Gefühl, dass wir die Rollen von Bob Dylan und The Band spielten und das Publikum dafür bezahlte, um zu sehen, was es vor vielen Jahren verpasst hatte.“ Auch Dylan hatte Probleme mit der Rolle, die er in dieser Tour spielte, und sagte nachdenklich 1980 in einem Interview: „Als Elvis 1955 ‚That’s All Right, Mama‘ spielte, war es Sensibilität und Kraft. 1969 war es einfach pure Kraft. Dahinter steckte nichts anderes als nur Gewalt. Ich bin auch in diese Falle getappt. Nehmen Sie die Tour von 1974. Es ist ein sehr schmaler Grat, den man beschreiten muss, um mit etwas in Kontakt zu bleiben, wenn man es einmal erschaffen hat … Entweder es hält einem stand oder nicht.“

Dylan hatte gemerkt wie äußerlich ihm diese Konzerte wurden. Hatte er anfangs noch einige Songs seiner aktuellen Platte „Planet Waves“ gespielt, so blieb davon mit der Zeit nur noch das heute sich im Klassiker-Status befindliche „Forever Young“ übrig. Es war die letzte Aufführung des 1960er-Dylans.

Danach: Dylans ständige Neuerfindungen

Fortan sollte Dylan immer wieder versuchen, dieser Bob Dylan-Rolle zu entfliehen, und sich und seine Songs bei seinen Konzerten immer wieder neu erfinden. Entweder mit neuem Material und einer neuen Bühnenpersönlichkeit versehen wie bei der Rolling Thunder Review 1975/76 oder auch bei seinem aktuellen Rough & Rowdy Ways-Bühnenprogramm. Oder wenn schon retrospektiv, dann aber völlig auf links gedreht wie 1978 oder auf den Konzerten der sogenannten „Never Ending Tour“ seit 1989. Und doch bleibt diese Tour und ihr Mitschnitt „Before The Flood“ ein wichtiges Zeitdokument, das man auch heute immer noch gerne hört.

Verbeugung vor einer Musiklegende

28. Dezember 2023

Schon seit ein paar Jahren gibt es die Band „Masterpeace“, nun hat sie ein Album mit elf Dylan-Songs herausgebracht

Copyright: Buschfunk

Der erste Eindruck ist der wichtigste. Ja, die Songs kenne ich, aber nicht so. Die neuen Versionen sind hörenswert. Die Platte heißt „The Dylan Project“. Elf Songs von Bob Dylan, neu interpretiert von der Band „Masterpeace“, die seit 2016 besteht. Gewidmet ist das Album dem Bandmitglied Kuma Harada, der im März 2023 starb und hier mit seinen letzten Aufnahmen zu hören ist.

Auffällig und wohltuend ist, dass der Gesangspart hier von einer Frau übernommen wird. Und die in keinster Weise in Versuchung gerät, den Dylan’schen Gesang imitieren oder kopieren zu wollen. Im Gegenteil: Steffi Breitings warmer und kraftvoller Gesang gibt den Songs eine ganz neue Note.

Auch die Arrangements tun dies immer wieder „New Morning“ läuft fröhlich tuckernd und kraftvoller als im Original an. Die Version von „All Along The Watchtower“ baut musikalisch geschickt, die klaustrophobische Anspannung auf. Das weniger bekannte „Love Minus Zero“ kommt ganz als fröhliches Liebeslied, während die Sixties-Hymne „The Times They Are A-Changing“ in nachdenklich-verhaltenem Sound daherkommt, als trage es all die gesellschaftlichen Niederlagen in sich. Kein Wunder, denn die Zeiten drehen sich gerade bedrohlich zurück.

„License To Kill“ ist dann wieder schnörkellos anklagend, gegen Gewalt und Krieg kann man nicht genug ansingen. „Watching The River Flow“ ist der einzige Song, der nicht von Steffi Breiting gesungen wird. Tobias Hillig macht aus dem Song einen Tagtraum, ehe als letzter Song „Masters Of War“ mit Hubschraubertönen und Marschtrommel sehr eindringlich intoniert wird.

So vergeht das Hören dieses starken Rock-Albums wie im Flug. Musikalisch ist das Ganze eindeutig oberes Regal, alle Musiker sind erfolgreiche Live- und Studiomusiker, u.a. für Mitch Ryder und Mick Taylor. Ein schönes Album, das uns das Warten auf neue Musik des Meisters versüßen wird.

Medium: CD

Künstler: MasterPeace

Veröffentlichung: 24. November 2023

Label: Buschfunk

Trackliste:

1. New Morning

2. Forever young

3. All along the watchtower

4. Going going gone  

5. Love minus zero

6. You ain’t going nowhere

7. Times they are a changing

8. Licence to kill

9. It ain’t me babe

10. Watching the river flow

11. Masters of War

Das Album ist u.a. zu beziehen über https://konsum.buschfunk.com/the-dylan-project-masterpeace-cd.html oder http://www.jpc.de.